Über Belarus und die Frauen


Als Sasha Belarus vor eineinhalb Jahren verließ, saß Präsident Alexander Lukaschenko fest im Sattel. Nun ist ihr Land in Aufruhr, und in 1500 Kilometern Entfernung fiebert Sasha mit den Demonstrant*innen. Ihren Sommerurlaub hat sie damit verbracht, 15 Stunden am Tag über Telegram-Kanäle Informationen zu teilen und so ihre Familie, Freunde und auch Journalisten zu unterstützen, während Lukaschenko das Internet blockierte.

Seit dem 9. August sind Zehntausende Menschen in Belarus jeden Sonntag auf der Straße. Seit dem Tag, an dem der ewige Präsident Alexander Lukaschenko die Präsidentschaftswahlen mit 80 Prozent gewonnen haben will, protestieren sie nicht nur in der Hauptstadt Minsk und begeben sich in Gefahr, von schwarz vermummten Sicherheitskräften geschlagen und festgenommen zu werden, sondern auch in vielen kleinen Städten, zum Beispiel in Sashas Heimatstadt Novopolotsk.

Die Leipziger Historikerin Elisa Satjukow ist Expertin für osteuropäische Geschichte und hat für uns im Podcast die politische Situation in Belarus zusammengefasst. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion setzten sich in einigen Nachfolgestaaten autoritäre Regime fort. So auch in Belarus, wo seit 1994 Lukaschenko regiert. Belarus wird daher auch als letzte Diktatur Europas bezeichnet – die Regierung untergräbt Grundrechte und Meinungsfreiheit, lässt nur zum Schein wählen und überwacht und drangsaliert ihr Volk.

Tichanowskaja – ein Coup gegen den sexistischen Präsidenten

26 Jahre regiert der Autokrat Lukaschenko in Minsk. Im August 2020 wollte er sich erneut durch sogenannte Wahlen im Amt bestätigen lassen. Den populären Oppositionskandidaten, Blogger Sergei Tichanowski, ließ er vorsichtshalber vor den Wahlen verhaften – doch statt Tichanowski trat Tichanowskaja als Präsidentschaftskandidatin an – seine Frau. Ein Coup, denn, wie Sasha sagt: Lukaschenko ist ein Sexist. Frauen gehören in die Küche und zu den Kindern, aber nicht in Machtpositionen, so die belarussische Staatsraison. Und dann pusteten Tichanowskaja und ihre Mitstreiterinnen den Altherrenstaub einfach weg.

Svetlana Tichanowskaja, die vor den Wahlen zugab, eigentlich nur für Mann und Kinder Schweinekoteletts braten zu wollen, wurde so zur Trägerin der Hoffnung, dass Wandel und Freiheit möglich sein könnten. Dass sie, wie offiziell verkündet, nur 9,9 Prozent der Stimmen erhalten haben soll, erkannte sie nicht an. Die EU-Kommission bezeichnete die Wahlen als „weder frei noch fair“. Doch mangels internationaler Wahlbeobachter und unabhängiger Umfragen ist der Wahlbetrug kaum nachzuweisen.

Frauen stehen für kreativen Widerstand ohne Gewalt

Der Initiative Honest People, die vergeblich versucht hatte, Oppositionelle in die Wahlkommissionen zu bringen, gelang es jedoch, die Fälschungen plastisch zu machen. Sie forderte Bürger auf, ihre Wahlzettel zu fotografieren, bevor sie sie in die Urne warfen. 550.000 von insgesamt 7 Millionen Wahlberechtigten machten mit. Honest People sammelte so beispielsweise für ein Wahllokal im Zentrum von Minsk 251 Fotos von Stimmen für Tichanowskaja – obwohl dort offiziell nur 65 für sie abgegeben worden waren. Golos, Stimme, heißt dieses Projekt, und auf ihrer Website konstatieren die Aktivisten: Die Wahlen sind ungültig, da wir in jedem dritten Wahllokal Betrug festgestellt haben.

Svetlana Tichanowskaja floh bereits kurz nach den Wahlen nach Litauen und spricht von dort den Demonstrantinnen und Demonstranten Mut zu.

Der Wandel des Frauenbilds in Gesellschaft und Politik sei eine der wichtigsten Errungenschaften des Präsidentschaftswahlkampfes 2020 in Belarus, zitiert die Zeitung Der Freitag die Soziologin Elena Gapova. Aus der Solidarisierung und Kreativität der Frauen um Svetlana Tichanowskaja seien unerwartete Strategien eines gewaltfreien Widerstandes entstanden.

Sasha ist überzeugt davon, dass der Diktator stürzen wird und brennt darauf, ihr Land Belarus beim Neuanfang zu unterstützen. Elisa Satjukow ist da etwas vorsichtiger: „Die weiteren Entwicklungen sind unklar. Die Aufgabe Europas ist es jetzt, Druck zu machen, Solidarität zu üben und die Demonstrierenden vor Ort und im Exil zu unterstützen“, fordert sie.