Über den Brexit


Seit dem 1. Januar 2021 ist das Vereinte Königreich endgültig nicht mehr Teil der Europäischen Union.

Puh. Wir wagen den Blick zurück auf ein ermüdendes Drama über acht Jahre, in zwölf Akten, so vielen wie Sterne auf der EU-Flagge.

Und natürlich erklären wir, was der Brexit für Alan und die anderen Britinnen und Briten in Deutschland bedeutet.

 

Prolog 2013. Ein großer Teil der Briten ist unzufrieden und fühlt sich von der Europäischen Union unterdrückt. Zu viel Bürokratie, zu viele Regeln – und vor allem zu viel Geld an die EU, das sie selbst dringend bräuchten, denn vielen Bürgern geht es schlecht. Massenarbeitslosigkeit grassiert in den alten Industrieregionen des Nordens, das Sozialsystem wurde über Jahrzehnte brutal zusammengekürzt. Zudem sehen viele Briten die EU schon immer als Eindringling, denn traditionell sind sie stolz auf ihre Inselrolle und die alte Weltmachtstellung des Königreichs. Pfund statt Euro, linke statt rechter Straßenseite, Meilen und Fuß statt Kilometer und Meter. Anders halt.

Da liegt es nahe, die Schuld für die zunehmende Verarmung auf die EU zu schieben. Allen voran macht die nationalistische United Kingdom Independence Party (UKIP) Stimmung gegen die Union, und in der konservativen Partei schließen sich viele an.

 

Erster Akt: Am 23. Januar 2013 tritt Premierminister David Cameron vor die Mikrofone, eine Rede über die Zukunft seines Landes auf den Lippen. Um die Zügel in der Hand zu behalten, verspricht er an diesem Tag, das Volk entscheiden zu lassen, ob Großbritannien in der EU bleibt oder nicht. Der konservative Cameron will die EU gar nicht verlassen, aber den Forderungen nach mehr Großbritannien und weniger Brüssel Nachdruck verleihen. Er pokert.

Obwohl es Cameron gelingt, in den kommenden Jahren mehr Sonderrechte für das Vereinigte Königreich auszuhandeln, bleibt die Front der EU-Gegner hart. Das Referendum wird für den 23. Juni 2016 festgelegt.

Zweiter Akt: Eine knallharte Kampagne beginnt, die, wie Alan erzählt, Familien und Freunde auseinanderreißt. Die Front geht auch quer durch die Parteien. Premierminister Cameron möchte in der EU bleiben, einer der Anführer der Brexit-Kampagne heißt Boris Johnson, ebenfalls konservativ. Er macht Stimmung mit der Behauptung, Großbritannien zahle der EU wöchentlich 350 Millionen Pfund. In riesigen Buchstaben klebt sie auf dem Kampagnen-Bus – und ist nachweislich falsch.

Dritter Akt: Am 23. Juni 2016 hat das britische Volk seinen großen Tag: 51,9% entscheiden sich für den Brexit. Knapper hätte es kaum kommen können. David Cameron hat verloren – und tritt zurück.

Vierter Akt: Theresa May ist neue Premierministerin. Sie muss jetzt aushandeln, wie dieser Brexit überhaupt aussehen soll. Eine riesige Bürde.

Fünfter Akt: Mays Regierung stellt am 29. März 2017 den schriftlicher Antrag auf Austritt aus der EU. Eine Uhr beginnt zu ticken: Ab jetzt hat sie genau 2 Jahre Zeit, um den Austritt zu verhandeln, bis Ende März 2019. Der gemeinsame Binnenmarkt, die Freizügigkeit werden verschwinden. Wie soll es weitergehen für Privatmenschen und Geschäftsleute?

Für die EU übernimmt die Kommission die Verhandlungen, Unterhändler ist der Franzose Michel Barnier.

Sechster Akt: Probleme macht die kuriose Situation der irischen Insel. Die Republik Irland gehört weiterhin der EU an, Nordirland tritt mit dem Vereinten Königreich aus, was eine EU-Außengrenze quer über die Insel zur Folge hat. Grenzzölle und Zollkontrollen auf einer Insel, die froh ist, nach dem IRA-Terrors endlich Frieden gefunden zu haben? Dies widerspricht dem irischen Friedensvertrag von 1998.

Die vorläufige Lösung heißt im März 2018 „Backstop“: Großbritannien bleibt nach dem Austritt noch für mindestens 2 Jahre in der Zollunion, die endgültige Lösung wird vertagt.

Siebter Akt: Die Stimmung in Großbritannien ist 2018 auf einem Tiefpunkt. Die Regierung zerstritten, das Parlament möchte Mays Kabinett die Kontrolle über die Brexit-Verhandlungen entziehen. Auch die EU-Kommission ist gereizt, denn die Uhr tickt. Zwar einigt sich die Regierung May mit der EU im November auf einen Austrittsvertrag, doch das Parlament hat noch nicht zugestimmt. Stattdessen stellt es im Dezember einen Misstrauensantrag gegen Theresa May. Aus Angst, dass das Abkommen abgelehnt wird, verschiebt sie die Abstimmung auf Januar. Sie übersteht zwar knapp das Misstrauensvotum, doch ihre Position wackelt extrem – und im März läuft die Zweijahresfrist ab.

 

Achter Akt: Dreimal legt May zwischen Januar und März 2019 dem Unterhaus ihren „Deal“ mit der EU, den Austrittsvertrag, vor. Dreimal wird er abgelehnt. Alles scheint auf einen harten Brexit ohne Deal zum 12. April hinauszulaufen. Zwar verlängert die EU die Frist bis Oktober, doch Theresa May ist gescheitert. Sie kündigt Ende Mai ihren Rücktritt an.

 

Neunter Akt: Auftritt Boris Johnson am 24. Juli 2019: Der Brexit-Hardliner der ersten Stunde ist nun vom Parlament gewählter neuer Premierminister. Er wird den Austritt durchziehen, mit oder ohne Deal. Als eine seiner ersten Amtshandlungen macht er fünf Wochen lang das Parlament dicht. Ein Zwangsurlaub, der es der Regierung erleichtern soll, ungestört weiter zu verhandeln. Mit dem Erfolg, dass die EU einer weiteren Brexit-Verschiebung bis zum 31. Januar 2020 zustimmt.

 

Zehnter Akt: Kurz zuvor holt sich Johnson am 12. Dezember 2019 noch die Legitimation durch die britische Bevölkerung ab: Er lässt das Parlament neu wählen und geht mit seiner konservativen Partei als klarer Sieger hervor. Und Johnson, dem starrköpfigen Kämpfer für den Brexit, gelingt es, dass Unterhaus und Oberhaus seinem neuen Entwurf für den Austrittsvertrag zustimmen. Am 29. Januar, zwei Tage vor Deadline, stimmt auch das EU-Parlament zu.

 

Elfter Akt: Am 31. Januar 2020 verlässt Großbritannien die EU. Allerdings gilt noch bis Ende 2020 eine Übergangsregelung, weshalb sich zunächst nichts ändert für EU-Bürger in Großbritannien, Briten in der EU und Handel treibende Unternehmen. Die  EU-Kommission mit Michel Barnier übernimmt erneut die Verhandlungen.

 

Zwölfter Akt: Zu Weihnachten schenken sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Boris Johnson am 24. Dezember 2020 das neue Handelsabkommen, 2000 Seiten dick. Die Parlamente und die Kommission stimmen an Silvester zu, die Queen segnet das Abkommen ab – damit ist der Austritt endgültig. Böller gibt es zu diesem Brexit-Silvester dank Corona allerdings keine.

 

Die Rechte der Briten in Deutschland

Doch was bedeutet der Brexit für Briten in Deutschland? Tausende haben sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden, 2019 allein waren es 14.600. Zum Vergleich: 2015, vor dem Brexit-Entscheid, gab es nur rund 600 Einbürgerungen.

Doch nicht jeder möchte seine Staatsangehörigkeit aufgeben. Laut der Interessensvertretung „British in Germany“ verlieren insgesamt 4,2 Millionen Menschen - 1,2 Millionen Briten in der EU und 3 Millionen EU-Bürger im Vereinigten Königreich - ihre EU-Grundrechte, insbesondere die Freizügigkeit. In Deutschland leben rund 115.000 Briten, hier in Leipzig sind es 780 Menschen, die sich in der neuen Situation zurechtfinden müssen.

 

„Wir haben alle angeschrieben, um das vom Abkommen geforderte rechtmäßige Wohnen zum Zeitpunkt des Austritts  aus der EU zu überprüfen und gleichzeitig ihren Aufenthalt formell anzuzeigen“, erklärt uns Claudia Geißler-Ploog, stellvertretende Leiterin des Ordnungsamtes. Bis zum 30.06. 2020 müssen alle Briten dies erledigt habe, Sanktionen gebe es jedoch nicht, falls dies zu spät geschehe.

 

Briten jetzt ähnlich wie Amerikaner

„Die Rechte aus dem Austrittsabkommen sind denen aus dem Freizügigkeitsgesetz sehr ähnlich, jedoch erhalten die britischen Staatsangehörigen ein Aufenthaltsdokument, mit dem sie ihren Aufenthaltsstatus und ihr Recht auf Erwerbstätigkeit nachweisen können“, sagt Geißler-Ploog. Wer erst nach dem 1. Januar 2021 eingereist sei, unterliege nun dem Aufenthaltsgesetz. Allerdings wurden die Briten im Austrittsabkommen von der Visumspflicht befreit, so dass sie ähnlich amerikanischer Staatsangehöriger ohne Visum einreisen und im Bundesgebiet ihren Aufenthaltstitel einholen dürfen.

Geißler-Ploog verweist darüber hinaus auf die Informationen auf der Internetseite der Stadt und betont, die Mitarbeiter*innen des Ordnungsamtes stünden jederzeit für die britischen Staatsbürger*innen zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung, um ihnen den Aufenthalt in Leipzig so angenehm wie möglich zu machen: „Wir würden uns freuen, wenn auch weiterhin viele sich hier in Deutschland heimisch fühlen.“


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