Mehrsprachigkeit


Über mehrsprachige Kinder

Finn ist ein bilinguales Kind. Er wächst mit zwei Sprachen zugleich auf, einer Mutter- und einer Vatersprache. Mit Alan spricht er Englisch, mit seiner Mutter, in der Kita und mit Oma und Opa hier in Leipzig Deutsch. Natürlich verschwendet Finn keinen Gedanken daran, welche Sprache er mit wem aufrufen muss. Das passiert automatisch, Kinder können das und praktizieren es weltweit.

 

Die meisten Menschen weltweit sind mehrsprachig

Tatsächlich gibt es mehr Länder mit mehreren Amtssprachen als einsprachige Länder. Auf dem afrikanischen Kontinent zum Beispiel sprechen die Menschen weit über 1000 verschiedene Sprachen! Meistens ist dort die Sprache der Kolonialherren eine der Amtssprachen, in der sich auch die meisten Bewohner der verschiedenen Landesteile verständigen können – zumindest, wenn sie eine Schule besucht haben. Allein in Nigeria werden rund 500 verschiedene Sprachen gesprochen, offizielle Landessprache ist Englisch.

Mexiko hat nur eine Amtssprache, Spanisch, die alle beherrschen. Darüber hinaus erkennt die Regierung jedoch 68 indigene Nationalsprachen an. Im kanadischen Quebec spricht man Französisch, trotzdem beherrschen die meisten Leute auch Englisch. 60 Prozent der Kanadier geben an, Englisch und Französisch als Muttersprache zu haben. Indien hat offiziell 121 Sprachen, Amtssprachen zur landesweiten Verständigung sind Englisch und Hindi.

Auch in Europa haben wir etliche multilinguale Staaten. In Spanien können alle Menschen Castellano sprechen, was wir Spanisch nennen. Doch außerdem sind gallizisch, baskisch und katalanisch Amtssprechen. Auch die Schweiz und die Niederlande haben bekanntermaßen mehrere Amtssprachen und viele Einwohner sind mehrsprachig von klein auf.

 

Wie Kinder mehrere Sprachen lernen

Dass der vierjährige Finn in der Lage ist, die englische Übersetzung seines Vaters unbewusst mit der deutschen Originalversion zu vergleichen und dann auch noch Kritik zu üben, klingt beeindruckend. Rosemarie Tracy ist Professorin für Sprachwissenschaft an der Uni Mannheim und forscht zur Mehrsprachigkeit von Kindern. Sie erklärt uns, dass sich bei Kindern, die von Geburt an mit zwei Sprachen aufwachsen, beide Sprachen automatisch altersgemäß entwickeln, wenngleich nicht immer zeitgleich und parallel zueinander. „Man muss allerdings gerade beim Wortschatz bedenken, dass die Verfügbarkeit davon abhängt, was man hört, also Kinder, mit denen viel und anregend kommuniziert wird, haben einen Vorteil, egal ob mono- oder bilingual.“ Ganz normal sei es, dass bilinguale Kinder zeitweilig auch beide Sprachen mischen. Eltern müssten sich da keine Sorgen machen, betont Tracy.

Finn hört und spricht seine beiden Sprachen zu Hause. Das ist bei den meisten Kindern, die mit ihren Eltern gemeinsam nach Deutschland gekommen sind, anders. Die meisten Flüchtlingsfamilien aus Syrien zum Beispiel sprechen Arabisch. Deutsch lernen die Kinder in der Kita oder in der Schule. 21,4 Prozent der Kita-Kinder sprechen laut dem Bundesfamilienministerium zu Hause eine andere Sprache als Deutsch. Ist es für sie nicht viel schwieriger, überhaupt richtig Deutsch zu lernen?

 

Reicht es, in der Kita mit Deutsch zu beginnen?

„Wenn Kinder früh intensiv mit einer Sprache in Kontakt kommen, obwohl sie sie noch nie im Elternhaus gehört haben, dann können sie diese zweite Sprache auch noch wie eine Erstsprache erwerben“, sagt Rosemarie Tracy. Wenn Kinder also mit drei Jahren in die Kita kommen, sei das für sie kein Problem. Wünschenswert sei es natürlich, dass Fachkräfte in Kitas die sprachlichen Entwicklungsphasen der Kinder kennen und den angemessenen Input liefern. Tracy hebt hervor, dass auch Dialekt sprechende Kinder oft erst mit dem Eintritt in die Schule in Kontakt mit dem Hochdeutsch kämen.

Eltern, die selbst gerade erst Deutsch lernen, sind oft unsicher, ob sie mit ihren Kindern Deutsch sprechen sollten. Viele versuchen es, doch normalerweise lernen die Kinder die neue Sprache schneller und die Eltern können ihnen gar nicht helfen, eher andersherum.

Man könne von Eltern nicht erwarten, ein Vorbild für die deutsche Sprache zu sein, betont Rosemarie Tracy: „Das muss aus unseren Bildungseinrichtungen und aus der Umgebung kommen.“

 

„Die Schulen sind noch viel mehr gefragt!“

Tatsächlich seien die Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit bei Kindern in Deutschland sehr unterschiedlich. Viele heute Erwachsene erzählen, es habe sie als Kind deprimiert, dass ihre fehlenden Deutschkenntnisse immer als Defizit empfunden worden seien. Hier seien die Schulen noch viel mehr gefragt, betont die Sprachwissenschaftlerin: „Wir sind zwar bereit, bei Fremdsprachen zu sagen, da muss jemand etwas ganz neu lernen, wir müssen ihm das beibringen. Wenn es aber um den Erwerb des Deutschen geht, wird oft davon ausgegangen, das alles könne schon mitgebracht werden. Wir haben immer noch zu wenig Ahnung, wie man das macht, wenn die Kinder mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen in die Schule kommen.“ Ein Widerspruch, findet Tracy.

Generell sei es aber wichtig, das Thema Mehrsprachigkeit entspannt anzugehen und nicht zum Zankapfel zwischen den Eltern oder Eltern und Kindern zu machen, betont Rosemarie Tracy. Nicht immer ließen die Kinder sich sofort auf die Mehrsprachigkeit ein und reagierten manchmal nur in einer Sprache. „Kinder haben früh ein Bewusstsein dafür, welche Sprache jetzt wichtig ist. Da ist es gut, wenn Besuch aus anderen Ländern kommen kann oder man dahin fahren kann, wo die andere Sprache gesprochen wird. Das wirkt oft Wunder, gerade, wenn es auch andere Kinder gibt, die diese Sprachen sprechen.

 

Keine Sorge: Menschen können ein Leben lang gut Sprachen lernen

Wichtig sei, die Kommunikationsfreude und die Neugier auf die Welt  über die Sprache zu erhalten: „Indem man viele unterschiedliche  Aktivitäten unternimmt, ihnen viel vorliest und Geschichten erzählt.“ Sie rät, nicht zu verzweifeln, wenn ein Kind die zweite Sprache nicht in der frühen Kindheit erlerne, denn Menschen könnten ein Leben lang gut Sprachen lernen. „Vielleicht lernt es die Sprache später, weil es weiterhin Freude am Sprechen und an der Sprache hat.“

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