Schön bunt? Über Afrikas Mode


Kelvins Klamotten sind so charmant, weil sie lässige Streetwear-Schnitte und Jersey-Stoff mit original afrikanischen Geweben kombinieren. Und diese afrikanischen Stoffe machen schon beim Angucken fröhlich. Bunte Farben und geometrische Muster lassen den Gedanken entstehen, dass Menschen, die solche Kleidung erschaffen, doch nicht auf einem verlorenen Kontinent leben können. Denn als solcher wird Afrika ja häufig bezeichnet.

Warum Kleidung in Afrika wichtiger ist

Bunte Stoffe? Darauf reagiert Ilsemargrit Luttmann leicht allergisch. Die Afrikanistin aus Hamburg beschäftigt sich seit ihrer Jugend mit afrikanischer Mode und trägt auch selbst stets afrikanisch. Bunt – das klingt beliebig, doch genau das sei afrikanische Kleidung nicht. Im Gegenteil:

„Afrikaner legen sehr viel Energie und Kreativität in das Äußere, in die Gestaltung des Körpers, um auch Macht auszudrücken, um Zugehörigkeit auszudrücken, um Abgrenzung, soziale Rollen, Genderrollen auszudrücken. Das hatte schon immer eine große Bedeutung, weil es ja eben auch einfach ist, es ist für jeden verfügbar, jeder hat eine Kontrolle darüber. Es bedeutet auch eine große Selbstbestimmung, sich über den Körper auszudrücken: Auch wenn man zu einer Gesellschaft gehört und natürlich bestimmten Normen gehorchen muss, ist es immerhin noch mein Körper und ich kann immer ein bisschen auch auch subversiv, ohne dass ich angeklagt und kritisiert werden kann, kann ich kleine Abweichungen einbringen und damit signalisieren, dass ich mehr oder weniger einverstanden bin. Insofern ist diese Bedeutung von Mode und von Äußerem ziemlich groß in Afrika, und ich glaube auch, dass man, wenn man Afrikanerinnen, egal an welchem Ort, fragen würde nach Mode, alle bestätigen würden, dass es für sie ein ganz starkes Ausdrucksmittel ist und dass es auch eine Möglichkeit für sie darstellt, sich gegenüber dem Westen oder in der Globalisierung darzustellen.“

Kleidung ist also in Afrika viel stärker personalisiert als bei uns, die wir viele andere Ausdrucksmittel für unsere Persönlichkeit nutzen. Massenware wie bei uns existiere deshalb gar nicht, sagt Luttmann. Selbst Klamotten, die von anderen Kontinenten importiert oder aus der Kleidersammlung kommen, eigneten die Leute sich an:

„Die Sachen werden ja in Afrika bis heute alle manuell selbst hergestellt, abgesehen von dem, was importiert wird. Aber auch das Importierte wird ja wieder neu angepasst, es wird singularisiert, individualisiert. Wir mit unserem ungeübten Blick, wir denken, oh, die westliche Mode hat alles überschwemmt, aber wenn man genauer hinguckt, würden Afrikaner, wenn sie eine Jeans tragen oder ein T-Shirt, sagen, siehst du, wie anders ich bin!“

Eins der spektakulärsten Beispiele für die Kreativität der Afrikaner im Umgang mit westlicher Kleidung sind die Sapeurs im Kongo. Sie machen sich bekannte Haute-Couture-Marken zu Eigen, indem sie auf den staubigen Straßen ihrer Dörfer richtig teure Designerklamotten mit allem Möglichen kombinieren. Heraus kommen wilde Outfits, die vor Lebensfreude sprühen.


Im Stoff stecken Redensarten und Ereignisse

Aber was steckt nun eigentlich hinter den berühmten afrikanischen Stoffen, für die Kelvin nach Nigeria, Togo und Kamerun reist? Jedes Volk hat seine eigenen, jahrhundertealten Textilien und Techniken. Viele sind aus Baumwolle, aber auch mal aus getrockneten Palmblättern gewebt, durch Schlamm strukturiert, handgefärbt und bedruckt... Wenn wir afrikanische Stoffe nutzen, sollte uns klar sein, dass wir damit unbewusst eine Aussage treffen. Doch die Deutung ist gar nicht so einfach, denn Stoffe sind Kunst, Philosophie und Ausdruck ihres Volkes. Ilsemargrit Luttmann:

„In bestimmten Kulturen ist es sehr stark ausgeprägt, dass die Stoffe einen Namen bekommen. Die Namen, die bestimmten Mustern und Stoffen zugeordnet werden, sind ein Ausdruck davon, dass dieser Stoff von großer Bedeutung ist, und das ist auch verkaufsfördernd. Aber man kann jetzt kein Lexikon aufbauen und sagen, die Kreise und Vögel bedeuteten das und das. Nein, ganz im Gegenteil, es kann ein ähnliches Muster sein, und in Ghana bekommt es ein bestimmtest Sprichwort über Tod oder über die Ehe oder Eifersucht oder Frauen oder moderne Männer oder so etwas, und in der Cote D´Ivoire ein paar Kilometer westlich davon bekommt es einen anderen Namen. Und man kann eben auch nicht sagen, die Symbolik von Farben bedeutet das und das – das ist im Wandel begriffen! Die Namen sind keine Beschreibung oder Bezeichnung des Musters. Sie können auch etwas mit Ereignissen zu tun haben. Wenn zum Beispiel ein Staatsbesuch, ein europäischer Präsident oder Kanzlerin Afrika besuchen oder der Papst und wenn zu dieser Zeit ein Stoff auf den Markt kommt, und den kaufen viele Leute anlässlich dieses Ereignisses, dann kann dieser Stoff den Namen dieses Ereignisses bekommen. Zum Beispiel Konjunktur, das war die Wirtschaftskrise in den 80ern, 90ern, da hieß dann ein Stoff „Conjoncture“, Aber das Muster hat ja nichts mit Krise oder Konjunktur zu tun. Diese Stoffe erzählen eine Geschichte, also somit kann man auch historische Ereignisse einordnen.“

In Afrikas Mode spiegelt sich seine komplexe Geschichte, und so stecken auch in Kelvins Hoodies und Jacken Spuren von Tradition, Kolonialismus, aber auch des neuen Selbstbewusstseins. Zwei seiner Outfits sind im Leipziger Grassi-Museum in der Ausstellung Cultural Affairs zu sehen, die den Pluralismus einer von Migration geprägten Welt thematisiert.

So karikiert der bekannteste angeblich afrikanische Stoff, Wax Print, die Mechanismen von Kolonialismus und Globalisierung. Gestaltet und produziert wird Wax Print seit 1846 von der Firma Vlisco in den Niederlanden. Ursprünglich aus ihrer Kolonie Indonesien, versahen die Niederländer den bunt bedruckten Stoff mit afrikanischen Elementen, um ihn dann nach Afrika zu exportieren. Viele lokale afrikanische Produktionen trieb dies in den Ruin.


Homecoming: Junge Kreative sind Afrikas Chance

Doch die Geschichte rollt weiter. Afrika produziert längst wieder selbst und vor allem selbstbewusst. In London gibt es die African Fashion Week, die Vogue schreibt eine Geschichte nach der anderen über afrikanische Trends. Die junge Modeszene feuert auch die afrikanische Wirtschaft an: „Können alte Traditionen dem Kontinent eine bessere Zukunft bringen?“, sinniert der weltbekannte Designer Alphardi aus Niger, der für seine Kreationen auf uralte Traditionen zurückgreift.

In Ghanas Hauptstadt Accra kämpfen gebildete junge Frauen gegen das Klischee vom verlorenen Kontinent. Sie haben aus UK und den USA Abschlüsse in Wirtschaft oder Design mitgebracht und verstehen die Globalisierung. Untamed Empire, „ungezähmtes Reich“ heißt ihre Gruppe, in der sie Mode und Design kreieren, aber auch Biosaft produzieren, um den Neo-Kolonialismus abzuschütteln.

Wie die Frauen aus Ghana will auch Kelvin sein Heimatland Nigeria mit dem Wissen und der Erfahrung verschiedener Kontinente bereichern, denn er hat in Großbritannien, den USA, Jordanien und Deutschland gelebt. „Homecoming“, nach Hause kommen, ist ein großes Thema in der afrikanischen Modebewegung. Die Rückkehrer schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze, sichern mit neuem Selbstbewusstsein altes Know-How.


Ilsemargret Luttmann ist vom Potential der afrikanischen Mode hingerissen:

„Die afrikanische Mode trägt schon so unendlich in die globale Welt hinein. Es gibt so viele afrikanische Designer, die sich zwar in Europa oder Amerika niederlassen, da wir ja in einer ungleichen Welt leben und sie von Afrika aus nicht die besten Startbedingungen haben, um global in den großen Modezentren der Welt wahrgenommen zu werden. Die aber international anerkannt sind und mit diesem hybriden kulturellen Kapital, mit dem sie arbeiten und Mode entwerfen, ganz große Erfolge haben. Gerade in Nigeria gibt es richtige Modeimperien, vor eineinhalb Jahren war ich in Lagos und hab die besucht. Der Jungfernstieg, wo man denkt, da wird die teure Mode verkauft – die können einpacken dagegen! Das waren Tempel, wo ich gezittert habe, um da reinzugehen. Kleider unter 1000 Euro waren gar nicht zu haben. Sie sind sehr stolz auf ihre Produktion, von der Fertigung her ganz großartig. Die haben was Afrikanisches und die haben was Globales und Kosmopolitisches, und von der Elite wird das sehr geschätzt.“


Slow Fashion, nachhaltig, regional...

In Hamburg gründete Beatrace Angut Oola, Modeexpertin und Geschäftsfrau of Colour, 2012 das Netzwerk „Fashion Africa Now“, um afrikanische Mode endlich auch in Deutschland sichtbar zu machen. Beatrace arbeitet mit Künstler*innen, Modemacher- und Musiker*innen of Colour zusammen, zum Beispiel im Fotoprojekt „Berlin Postkolonial“ oder bei der Kreation des afrodeutschen Biers „Suffer Head“.

In einem Interview im Kunstmuseum Ravensburg zeigt sie sich überzeugt, dass Afrika einen Schlüssel liefert zur Revolution in der Mode:

„Das ist das Schöne jetzt in dieser Bewegung, dass Designer afrikanischer Herkunft nicht nur zuschauen, sondern sie sind wirklich diejenigen, die jetzt einfach auch den Ton angeben können und nicht nur stumme Teilnehmer sind.“

Dabei sind Mode- und Musikszene miteinander verknüpft. Bekanntheit erlangen Designer*innen auch über Outfits, die sie für Stars wie Beyoncé entwerfen, zum Beispiel für deren Album „Black is King“.

Beatrace: „Ich vergleiche es auch immer gern mit der HipHop-Bewegung, weil sie ist sozusagen Vorreiter, die modische Bewegung dieser Street-Styles, dieser Urban-Look, Streetware das war auch ein Look, der aus der afroamerikanischen Diaspora heraus kreiert und dann schritt für Schritt in die internationale Modeindustrie integriert worden ist.“

Die Schlagwörter der „Generation Z“ finden sich in der afrikanischen Mode wieder: Slow Fashion, nachhaltig produziert, mit traditionellen, regionalen Techniken und Textilien.... Beatrace Angut Oola erklärt die Bedeutung von Made in Afrika:

„Es ist Slow Fashion, zum Glück, und die Lösungen liegen auch in Afrika, würd ich sagen, was die internationale Mode-Industrie betrifft, und das ist auf jeden Fall schön zu sehen bei unterschiedlichen Designern. Made in Afrika, es wird immer wichtiger und präsenter, und da entwickelt sich nochmal eine ganz klare Positionierung, die tatsächlich dann die lokalen Modemärkte auch fördern. Man sieht, dass das Interesse da ist, vor Ort zu produzieren bei vielen jungen Brands, um dort einfach Arbeitsplätze zu schaffen, um Know-How zu ermöglichen, aber auch einfach Handwerkstechniken bestehen lassen zu können und diese auch weiter auszubauen.“


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