Über Rassismus


Der Modemacher Kelvin Romeo Olajoseph hat in Großbritannien, den USA, in Jordanien, Nigeria und Kamerun gelebt. In seiner Mode verknüpft er urbane Streetwear mit afrikanischer Modetradition, eine Fusion im Zeitgeist, die cool und lässig rüberkommt. Diesem Menschen dürfte es nicht schwerfallen, in der jungen, hippen, zunehmend weltoffenen Stadt Leipzig anzukommen, dachte ich.

Als Kelvin im Interview über die Diskriminierungen erzählt, denen er täglich ausgesetzt ist, bin ich daher erstmal sprachlos, kann es nicht fassen.


Wir müssen über Rassismus sprechen!

Diese Sprachlosigkeit müssen wir überwinden, sagt Tupoka Ogette. Sie ist Antirassismus-Trainerin aus Leipzig, und auf ihrer Homepage prangt der Satz:

Sprechen lernen über Rassismus ist wie ein Muskel, den wir als Gesellschaft trainieren müssen.

Das hat sie zu ihrem Job gemacht. In ihrer Online-Akademie lehrt Tupoka Ogette, wie Rassismus entstanden ist und was ihn heute ausmacht, es geht um Vorurteile und auch ums Weiß-Sein.

Tupoka Ogette ist gebürtige Leipzigerin, reiste als Grundschülerin mit ihrer Mutter aus der DDR aus und wuchs in West-Berlin auf. In einem Video auf dem öffentlich-rechtlichen YouTube-Kanal „Germania“ erzählt sie ihre Geschichte, die sie mit vielen Afrodeutschen teilt:

„Also in der DDR gab’s ja so eine Zeit, wo schwarze Elitestudentinnen und Studenten aus afrikanischen Ländern in die DDR geholt wurden, um da zu studieren und darunter war eben auch mein Vater.“

Im Osten Deutschlands sind es Kinder von Vertragsarbeitern oder Studenten aus den „sozialistischen Bruderstaaten“, im Westen zum Beispiel Kinder amerikanischer Soldaten, die schwarze Haut haben. Diese Hautfarbe steht für sie in einer Gesellschaft, in der sie immer das einzige schwarze Kind sind, von klein auf im Vordergrund.

Tupoka Ogette erzählt im Video eine Episode aus dem Kindergarten. Während eines Spaziergangs ermahnten die Erzieherinnen die Kinder: „Ihr dürft nicht in den Wald gehen, da warten die schwarzen Männer, die wollen euch entführen.“ Tupoka: „Ich weiß, dass ich mich total erschrocken habe, und dann haben sich die Erzieherinnen total totgelacht über mich „guck mal, das N.-Kind, dabei könnte das der Vater sein.“ Das sind so Momente, an die erinnere ich mich ganz präsent.“

Woher kommst du? oder Wo ist Zuhause?

Für Leute mit Mehrheitshautfarbe mag Rassismus ein Ärgernis sein, die eigene Intimsphäre wird davon jedoch nicht tangiert. Für schwarze Menschen bedürfen Hautfarbe und Haarstruktur der ständigen Auseinandersetzung. Eine Teilnehmerin aus dem Integrationskurs macht eine Handbewegung, als wollte sie etwas zerknautschen, wenn sie genervt davon spricht, dass fremde Menschen einfach so ihre hochgebundenen Haare anfassen und drücken.

Und klar – wer nicht weiß ist, muss natürlich irgendwo anders herkommen. Eine Frage, die oft vielleicht sogar interessiert gemeint ist, nervt Menschen mit Migrationshintergrund extrem. Tupoka Ogette erzählt, von klein auf habe sie täglich die Frage „Woher kommst du?“ oder „Wann gehst du?“ zu hören bekommen:

„Ich weiß, dass im Gymnasium ´ne Lehrerin gesagt hat, erzählt doch mal von Zuhause, und ich so: Na, in Leipzig… und sie so: Nenenenee, ich meine vom Busch… Und ich weiß, ich hatte so unterschiedliche Strategien, dass ich dann angefangen hab, das zu bedienen, und gesagt hab „Da waren wir dann auf auf dem Baum, und dann beim nächsten Affen rechts…“ also voll absurde Geschichten erzählt habe, weil dich dachte, das kann doch nicht ihr Ernst sein, und die das aber total geglaubt haben.“


Antidiskriminierungsbüro: 42 Prozent aller Beratungen wegen Rassismus

Wer Rassismus erlebt, kann sich in Leipzig zum Beispiel an Hannah Mühling und Afsane Akhtar-Khawari wenden. Die beiden Frauen arbeiten in der Beratungsstelle des Anti-Diskriminierungsbüros Sachsen, ADB. Rassistische Diskriminierung mache 42 Prozent ihrer gesamten Beratungen aus, sagt Hannah Mühling, obwohl Menschen sich mit jeder Form von Diskriminierung an das ADB wenden können, sei es sexististische Diskriminierung, Körpergewicht oder Behinderung. „Darunter sind auch sehr viele schwarze Menschen, das sind sowohl schwarze Deutsche, die auch schon in Sachsen geboren sind, als auch Menschen, die ganz neu zugezogen sind.“

Die Erlebnisse, die Kelvin beim Einkaufen mit seiner Frau, bei seiner Arbeit und auch mit der Polizei gemacht hat, sind ein ganz typischer Ausdruck des Rassismus, den schwarze Menschen hier im Alltag erleben.

Afsane Akhtar-Khawari erzählt aus ihrem Beratungsalltag: „Die Art der Diskriminierung, die schwarze Menschen in Deutschland und in Sachsen insbesondere erleben, durchziehen ihren ganzen Alltag. Insbesondere kommen Menschen zu uns, wenn es um Diskriminierung auf der Arbeit geht, weil das so existentiell ist. Dort erleiden sie rassistische Beleidigungen und Benachteiligungen oft durch Kolleginnen und Kollegen, und dann reagiert die Chefetage nicht adäquat und schützt sie nicht davor.“

Schwarze Männer seien zudem von Diskriminierung beim Einlass von Clubs und Diskotheken betroffen, und Racial Profiling weit verbreitet: „Also Polizei oder Security, die für ihre Sicherheit sorgen sollten und die man ruft, wenn man in Gefahr ist, diskriminieren sie oft noch zusätzlich. Aber auch in Geschäften werden sie oft fälschlich beschuldigt und kontrolliert und beleidigt.“


Woher kommt Rassismus?

Warum werden schwarze Menschen hier in Sachsen so stark diskriminiert? Anders als erwartet, spricht Hannah Mühling nicht von der geringen Ausländerquote im Osten Deutschlands, von Arbeitslosigkeit und AfD. Sie geht viel weiter zurück: „Rassismus ist eine Struktur, mit der wir alle aufgewachsen sind und die historisch gewachsen ist. Das hat also ganz viel mit der Kolonialgeschichte zu tun und mit Sklaverei, und es ist in Deutschland leider sehr zäh, dass überhaupt eine Auseinandersetzung und eine Verantwortungsübernahme stattfindet.“ Mühling empfiehlt als Lektüre Tupoka Ogettes Buch „Exit Racism“.

Wie Tupoka Ogette ist auch der afrodeutsche Kabarettist Marius Jung aus Köln aufgrund seiner Hautfarbe dem Rassismus auf der Spur. „Die Geschichte eines Wahns“ heißt seine Dokumentation, die in der TerraX-Reihe des ZDF erschienen und in der Mediathek zu sehen ist.

Der Rassismusforscher Professor Christian Geulen von der Uni Koblenz erklärt darin die Anfänge des Rassismus. Wie wir ihn heute kennen, sei er erstaunlich jung und habe sich im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung, herausgebildet: „da gab es bereits seit 250, fast 300 Jahren ein globales Wirtschaftssystem namens Sklavenhandel. In dem Augenblick, wo die modernen Ideale der Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit entworfen wurden, bedurfte es eines Denksystems, das rechtfertigt, warum trotzdem diese Menschen außerhalb Europas wie Stück und wie Ware behandelt werden.“

Die Rechtfertigung dafür, Menschen in einer grundsätzlich aufgeklärten Gesellschaft wegen ihrer Haut zu diskriminieren, musste also konstruiert werden.

Der Philosoph Immanuel Kant machte mit, in seinen Schriften finden sich Sätze wie: „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen“ und „Die Negers von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege“.

Die Wissenschaft machte mit, indem sie Rassenmerkmale festlegte, und das sehr konkret: Schädelvermessungen stellten eine größere Nähe der Afrikaner zum Affen her, Haarproben dienten zur Einordnung der Rasse. Marius Jung findet seine Haare, kraus und dunkel, dort unter der Nummer 28. Passend dazu kann er seine Hautfarbe auf einer Hauttafel aus dem Fundus der Uni Jena von 1907 einordnen.

Warum der Begriff „Rasse“ so gern angenommen wurde, erklärt Jung die Freiburger Wissenschaftshistorikerin Veronika Lippard: „Weil’s so schön einfach erscheint. Deswegen wurde das auch bis Mitte des 20. Jahrhunderts in der Schule gelehrt, das konnte jedes Schulkind sich einfach merken, dann gab’s Bilder dazu, ganz einprägsame Bilder.“


Hautfarbe basiert auf Pigmenten und Menschenrassen gibt es nicht!

Zwischen 1870 und 1940 boomten in Europa die Menschenzoos, auch Völkerschauen genannt. Auch der Gründer des berühmten Hamburger Tierparks, Carl Hagenbeck, fügte seinen Tierschauen diese menschenverachtenden Spektakel hinzu. Inuit, Asiaten, Afrikaner durften da in ihrem sogenannten Alltagsleben beglotzt werden. Im Berliner Treptower Park wurde 1896 ein sogenanntes Negerdorf errichtet, wo mehr als 100 Afrikaner eine halbes Jahr lang ihr „primitives Leben“ zur Schau stellen mussten.

Rassismus in Reinform, der die historische Basis bildet für die Wahrnehmung von Menschen, deren Haut schlicht anders pigmentiert ist. Veronika Lippard stellt in der Terrra-X-Dokumentation klar: „Nein, es gibt keine Menschenrassen. Diese biologische Vorstellung, dass die Menschheit sich in verschiedene Gruppen unterteilen lässt, ist nicht haltbar.“ Es gebe genetische Vielfalt beim Menschen, und in der Menschheitsgeschichte unglaublich viele Vermischungen – eine einfache Unterteilung sei gar nicht möglich. Dass Menschen insbesondere in wärmeren Erdteilen dunklere Haut haben, liege daran, dass andere Pigmente eingelagert werden. „Die Hautfarben sind in der menschlichen Evolution relativ spät entstanden, und zwar als Anpassung“, sagt Lippard.


Wie das Antidiskriminierungsbüro hilft

Im Leipziger Anti-Diskriminierungsbüro stellen sich die Mitarbeiterinnen dem Alltagsrassismus in den Weg. Immerhin haben sie in Deutschland dafür den Artikel 3 des Grundgesetzes als Werkzeug, „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Seit 2006 wird dieser Anspruch durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz konkretisiert, eine Grundlage der Arbeit im Anti-Diskriminierungsbüro:

„Was wir den Menschen anbieten können, ist ein geschützter Raum, wo wir ihnen glauben, was ihnen tagtäglich widerfährt und sie darüber sprechen können. Und dann überlegen wir gemeinsam, wie wir sie unterstützen können und was sie machen möchten“, erzählt Afsane Akhtar-Khawari. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sei zumindest in den Bereichen Arbeit und Güter / Dienstleistungen, also alles, was Verträge angeht, gut aufgestellt. Die Mitarbeiterinnen im ADB schreiben Beschwerden, führen Vermittlungsgespräche und begleiten Klagen. „Ansonsten haben wir eine Empowermentgruppe für von Rassismus betroffene Menschen aufgebaut, wo wir uns einmal im Monat treffen und uns austauschen zu all diesen Fragen und uns gegenseitig stärken“, sagt Afsane Akhtar-Khawari

Gibt es Hoffnung, dass Hautfarbe bald ebenso wenig eine Rolle spielt wie die Schuhgröße oder die Farbe der Fingernägel?

Ohne darüber zu Sprechen, wird das nicht passieren. Hannah Mühling:

„Letztes Jahr hat durch das Erstarken der Black Lives Matter Bewegung auch hier in Deutschland zum ersten Mal eine öffentliche Diskussion über Rassismus, in der Rassismus als Rassismus benannt wurde, begonnen. Das ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber es ist noch ein langer Weg.“


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Schön bunt? Über Afrikas Mode