Über die Revolution in Tunesien und ihre Folgen


Als Marwan 2009 seine Heimat verließ, war Ben Ali bereits 22 Jahre absolutistischer Herrscher über Tunesien, pseudodemokratisch legitimiert durch eine Reihe von manipulierten Wahlen. Er hat seinem Volk Sicherheit vor islamistischem Einfluss und einen gewissen Wohlstand in Aussicht gestellt, die bürgerlichen Freiheiten aber gleichzeitig von Jahr zu Jahr mehr eingeschränkt.

Sein Regime kontrollierte die Medien, verfolgte politische Gegner*innen und Journalist*innen, ließ keine unabhängige Justiz oder Verwaltung zu, übte Polizeigewalt aus und ließ andere Parteien im Parlament nur zu, wenn sie seine Inhalte vertraten. Durch Korruption und sogenannte Kleptokratie wurden Business und Politik zur Familienangelegenheit Ben Alis. Der Clan um ihn häufte 1/3 der Wirtschaft des Landes an. Und: inszenierte seinen Reichtum in den Medien.

Dieser stand im Gegensatz zur Armut und Arbeitslosigkeit vieler Menschen in Tunesien. Es herrschte eine große Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Lage, über die stark angestiegenen Lebensmittelpreise und Energiekosten und über die schlechten Zukunftsperspektiven der Jugend. Gerade junge Menschen in den benachteiligten Regionen des Landes, die sich von den Machthabern übergangen und verachtet fühlten, gingen auf die Straßen. Das Schicksal eines Gemüsehändlers veranlasste viele weitere Menschen, ihren Unmut über soziale Ungerechtigkeit und Polizeirepression auszudrücken.

Mohamed Bouazizi musste nach dem frühen Tod seines Vaters seine Mutter und seine fünf Geschwister ernähren und arbeitete als Gemüsehändler mit einem fahrbaren Marktstand. Mehrfach wurde sein Stand von der Polizei geschlossen und Arbeitsmittel beschlagnahmt. Seine Beschwerde bei der Stadtverwaltung endete mit Gewalt durch die Polizei und einem tiefen Gefühl von Aussichtslosigkeit und Ohnmacht. Nach seiner Selbstverbrennung am 17. Dezember 2010 vor einem öffentlichen Gebäude dehnten sich die Proteste aus. Auf den wachsenden Unmut in der Bevölkerung antwortete das Regime und seine Behörden mit Polizeigewalt, Medienzensur und Schikanen. Vor allem die Onlineplattformen Facebook und Twitter ermöglichten einen Zugang zu Nachrichten über die Unruhen und das Vorgehen der Sicherheitskräfte. Somit waren sie entscheidend für die Ausbreitung der Proteste auf ganz Tunesien und die Nachbarstaaten.

Im Januar 2011 führten Massenproteste und ein gescheiterter Staatsstreich zur Flucht Ben Alis. Er schaffte es mit ca. 20 Milliarden Dollar und seiner Familie nach Saudiarabien zu entkommen. In der Folge brachen Konflikte auf, die bis dahin weitgehend unterdrückt worden waren. Plünderungen und Brandstiftungen der Hinterlassenschaften der ehemaligen Machthaber, aber vor allem antidemokratische Strömungen stifteten Chaos und die wirtschaftliche Lage des Landes verschlechterte sich. Während sich die Hauptforderungen der Revolution auf wirtschaftliche und soziale Verbesserungen richteten, rückten bereits kurz danach Debatten über die Ausrichtung des Staates in den Vordergrund.

2014 betrat mit Beji Caid Essebsi der erste demokratisch gewählte Präsident sein Amt, nach seinem Tod wurde 2019 erneut friedlich und demokratisch gewählt.

Während sich die politische Situation in den vergangenen Jahren insgesamt stabilisiert hat, bleibt die wirtschaftliche Lage fragil. Alte einflussreiche Netzwerke, die große Marktanteile in verschiedenen Wirtschaftszweigen kontrollieren, bestehen auch noch zehn Jahre nach dem politischen Umbruch. Außerhalb der reichen Küstengegenden bleiben die Hoffnungen auf spürbare Veränderungen weitgehend unerfüllt. Die wirtschaftliche Entwicklung im verarmten Landesinneren stockt. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei rund 15%, unter jungen Hochschulabsolventen ist sie etwa doppelt so hoch. Immer wieder kommt es zu Streiks und Protesten.

Repräsentative Umfragen zeigen laut Dr. Holger Dix, Leiter des Länderbüros Tunesien für die Konrad Adenauer Stiftung in Tunis, dass die große Mehrheit der Tunesier mit der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation des Landes unzufrieden ist – und sich das Land ihrer Meinung nach in eine falsche Richtung bewegt.

„Als die Tunesier im Dezember 2010 auf die Straßen gingen, da demonstrierten sie für mehr Würde mehr Gerechtigkeit und bessere Lebenschancen. Seither hat das Land ein bewegtes Jahrzehnt erlebt: Terrorismus mit katastrophalen Folgen für den Tourismus, den wichtigsten Wirtschaftssektor des Landes, der Krieg im Nachbarland Libyen und jetzt auch noch die Pandemie waren schwierige Rahmenbedingungen für eine günstige Entwicklung. Fragt man Tunesier heute, wie Sie die Errungenschaften der Revolution bewerten, dann sagen die meisten, keines der mit den damaligen Demonstrationen verfolgten Ziele konnte erreicht werden. So stellen sich viele Tunesier heute die Frage, woher sie den Mut nehmen können, den man in diesen schwierigen Zeiten braucht um anzupacken und aus welcher Quelle man die Zuversicht schöpfen kann, das Tunesien eine bessere Zukunft haben wird. Viele vor allen junge Tunesier haben auf diese Fragen noch keine Antwort gefunden und planen deshalb, ihre Zukunft im Ausland.“


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