Über Albaner:innen in Deutschland


von Rahmet Yelken

Oft wurde ich Zeuge, dass Albaner:innen untereinander sagen, sie seien ein Ein-Drittel-Volk. Der Hintergrund ist, dass ein Drittel der Albaner:innen in Albanien, ein Drittel in den angrenzenden Ländern, vor allem Kosovo und Nordmazedonien, und ein Drittel in der Diaspora leben. Auch hier bei uns in Deutschland leben schätzungsweise 250.000 Albanerinnen. Trotz der vergleichsweise hohen Anzahl ist die albanischsprachige Community in Deutschland relativ unauffällig. Über die Gründe dafür und die Situation der Albanerinnen in Deutschland habe ich mit der Kulturwissenschaftlerin und freien Journalistin Arnisa Halili gesprochen. Ihre Familie kommt aus dem Kosovo. Sie ist in einer deutschen Kleinstadt geboren und aufgewachsen.

Arnisa beschäftigt sich seit langem mit der albanischen Identität in der postmigrantischen Gesellschaft und betont, dass man die Gruppe der Albaner:innen in Deutschland sehr heterogen betrachten müsse, denn hier leben Albaner:innen aus Albanien, dem Kosovo, aus Nord-Mazedonien, Serbien, Montenegro und Menschen, die lange in Italien wohnten, bevor sie nach Deutschland kamen.

Arnisa fühlt sich allen Albaner:innen verbunden:

„Albanisch sein ist so ortslos, zwar schon verortet im Balkan, aber nicht in einem Land. Wir teilen eine gemeinsame Geschichte, kulturelle Gemeinsamkeiten und die Sprache.“

“Albanisch sein hat fast etwas Religiöses”

Angesichts dieser pluralen historischen und politischen Realitäten sowie Lebenswelten der Albanerinnen habe ich Arnisa gefragt, ob es dennoch einen grenzübergreifenden Zusammenhalt unter Albanerinnen gibt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass hierbei manchmal Wunsch und Realität auseinandergehen können, denn als Kurde habe ich hier in Deutschland festgestellt, dass die Grenzen schon etwas bewirkt haben und Kurden aus dem Irak oder aus Syrien eine ganz andere Kultur mitbringen.

Arnisa sagt, sie spüre durchaus eine Verbundenheit – trotz der Unterschiede zwischen dem, was Albaner:innen unter der abgeschotteten kommunistischen Diktatur in Albanien oder im Kosovo unter den Serben erlebt haben: „Zum Beispiel arbeiten in Unternehmen, die albanisch geleitet sind, Menschen aus Nordmazedonien, und es gibt auch albanische Vereine und Organisationen, in denen ganz unterschiedliche Albaner:innen zusammenkommen. „Ich find, albanisch sein hat manchmal schon etwas fast Religiöses. Ich glaub, man versteht`s nur, wenn man selbst albanisch ist.“

Zu dieser komplexen Wahrnehmung der eigenen Identität kommt hinzu, dass man Albanerinnen in Deutschland vor allem mit Unwissen und Stereotypen begegnet: In der weißen Mehrheitsgesellschaft existieren sehr viele Klischees und Rassismen über sie.

Eine bunte Tüte voller Vorurteile gegen Albaner:innen aus verschiedenen Ländern

„Durch diese heterogene Gruppe der Albaner:innen sind auch ganz verschiedene Klischees und Vorurteile mit integriert. Wenn ich sage, ich bin Albanerin, dann wird man auch mit Sachen konfrontiert, die man Albaner:innen in Albanien zuschreibt, also Drogenhandel, Mafia, Kanun, Ehrenmorde, so eine Gewaltbereitschaft. Dann Kosovo: krasses Modernitätsgefälle, Krieg, Armut, auch Kriminalität, im Fall von Balkan auch viel Faulheit, Exotisierung, tanzen, langsamer Lebensstil, also ganz viele Sachen, die zusammenkommen, was es anscheinend bedeutet albanisch zu sein.

Mir ist es vor allem in der Schule begegnet, wenn man gesagt hat, ich bin Albanerin, wussten viele nicht, wo das ist, Kosovo war damals noch gar kein Land, und das macht natürlich viel mit dem eigenen Selbstwertgefühl, wenn man immer wieder gespiegelt bekommt, ich kenne diese Sprache nicht, ich kenne diesen Ort nicht, und niemand interessiert sich dafür.“

Akademiker:innen auf der Baustelle und an der Kasse

Vor allem die Elterngeneration, oft Akademikerinnen oder Aktivistinnen, hatten unter dieser Unkenntnis beziehungsweise Unsichtbarkeit zu leiden. Viele von ihnen mussten trotz ihrer hohen Qualifikationen auf der Baustellen, an der Kasse oder beim McDonald’s arbeiten. Ein Schicksal, das sie mit vielen Menschen aus postsozialistischen Gesellschaften teilen. Deshalb findet Arnisa es wichtig, zu reflektieren, wie man auf viele migrantische Gruppen guckt:

„Das sind politische Aktivist:innen, Leute, die haben studiert, gerade in der Generation meiner Altern haben so viele studiert, das wurde einfach nicht anerkannt in Deutschland. Dass man einfach nochmal drüber nachdenkt, wie begegnet man diesen Menschen, was steckt da vielleicht dhinter. Das sind teilweise richtig krasse Lebensbiografien. Und wenn du in die Schule gehst und es wird thematisiert, was arbeiten deine Eltern, und dann sagst du, bei McDonald`s, dann gibt einem das gleich so einen Stempel. Dabei ist dein Dad politischer Aktivist und auch deine Mum... das finde ich so traurig, wie Albaner:innen hier heute leben und welchen Status sie haben, aber was für Geschichten eigentlich dahinter stecken, und ihr albanisch sein verstecken, obwohl albanisch sein auch viel mit Resistence zu tun hat. Sie haben so krass gekämpft, diese Sprache nicht auszurotten. Dass ich das jetzt sprechen kann und Teil dieser Kultur bin, darauf bin ich voll stolz.

Ich glaube, es gibt viel Potential. Ich sehe, dass viele aus der zweiten Generation sich sprachlich äußern, Gedichte oder am Theater, ein paar gehen auch in die Politik. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt.“

Fehlendes Selbstbewusstsein: Lieber falscher Italiener als echter Albaner

Für albanische Menschen birgt aufgrund ihrer vielschichtigen Mitbringsel die postmigrantische Gesellschaft hier in Deutschland unterschiedlich gelagerte Gründe, sich unauffällig zu verhalten. Arnisa findet, an dem Spruch, jeder Italiener in Deutschland sei eigentlich ein Albaner, sei durchaus was dran – vor allem auf Restaurants bezogen.

„Für die Anzahl an Albaner:innen in Deutschland, die auch in der Gastro arbeiten, gibt es viel zu wenig albanische Restaurants. Und das hat viel damit zu tun, dass man gar nicht glaubt, dass das albanische Essen jemand kaufen würde. Das hängt auch mit einer fehlenden Offenheit der deutschen Gesellschaft, aber auch mit dem Verstecken vor etablierten Identitäten zusammen: Lieber bist du Italiener als Albaner in der Öffentlichkeit.“

Sie findet es daher wichtig, Deutschland postmigrantisch zu betrachten. Als Kosovo-Albaner:in hat sie auch erlebt, wie sich der ethnisch-politische Konflikt mit den Serben in Deutschland fortsetzt und Diskriminierungserfahrungen gemacht:

„Wenn du albanisch warst, hast du eigentlich immer versucht, es zu verstecken.“


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