Über arabische Frauen


Das Kopftuch: In ihm materialisiert sich der Strauß an Klischees, mit denen arabische Frauen hier empfangen werden. Claudia Mende kennt die umgekehrte Perspektive, denn sie ist in Jordanien und Ägypten aufgewachsen. Die Journalistin schreibt unter anderem auf Qantara, dem Portal der Deutschen Welle für den Dialog mit der arabischen Welt, über Frauen in muslimischen Gesellschaften: über ihren Kampf um Rechte, Gleichstellung, ihre Rolle als Revolutionärinnen, über Flucht und Migration. Claudia Mende spricht mit uns über den Stereotyp, mit denen die Frauen dann nach ihrer Ankunft in Deutschland konfrontiert sind:

Wir denken an Zwangsheirat, nicht an erfolgreiche Akademikerinnen

„Wenn es um arabische Frauen geht, hab ich immer den Eindruck, sie werden nicht so sehr als individuelle Persönlichkeiten wahrgenommen, sondern als Teil eines Kollektivs, einer Gruppe, über die man ganz genaue Vorstellungen hat. Die Frauen gelten als hilflos, unterdrückt, schwach und eben auch ganz anders als wir emanzipierte, deutsche, westliche Frauen. Wenn es um arabische Frauen mit dann schwingen gleich Bilder mit von Zwangsheiraten, Ehrenmorden und männlicher Gewalt, deren Opfer sie sind. Das liegt natürlich an einer Vielzahl von Büchern, Filmen und auch medialen Debatten über dieses Thema, die Extremereignisse in den Vordergrund stellen und nicht so sehr das reale Leben, und so immer wieder solche Vorstellungen befeuern. Das gilt vor allem, wenn die Frauen Kopftuch tragen.“

Claudia Mende erlebt das selbst in ihrem eigenen Freundeskreis: Wenn sie von einer Tagung erzähle, wo auch arabische Frauen mit Kopftuch dabei waren, nehme man diese als weniger kompetent wahr: „Als würde das die Frauen als eingeschränkt selbstverantwortlich kennzeichnen. Das ist dann so, als könnte es nicht zusammenpassen, dass eine Frau akademisch gebildet ist und auf einer Tagung einen Vortrag hält und gleichzeitig Kopftuch trägt.“

Mende räumt ein, dass sicher nicht alle Frauen in Deutschland das Kopftuch freiwillig trügen: „Aber wenn ich jemanden vor mir habe, kann ich ja nicht beurteilen, wie der Hintergrund ist, und trotzdem läuft der Film immer irgendwie mit. Das Kopftuch wirkt wie ein Trigger, der ganz bestimmte negative Bilder auslöst. Bilder, die in Europa auch eine lange Geschichte haben. Für uns ist es ein Teil der Emanzipation, dass wir uns möglichst freizügig kleiden können. Dass das nicht überall auf der Welt so ist, erschließt sich nicht gleich.“

Wie das Klischee den Frauen schadet - und uns nützt?

Das Klischee führe leider dazu, nicht mit den arabischen Frauen zu sprechen, sondern über sie: „Man reduziert ihre Persönlichkeit und schaut nicht mehr genau hin, wie die Frauen leben, welche Probleme sie haben, was sie in ihrem Leben erreichen wollen, worüber sie sich freuen, warum sie traurig sind – all diese wichtigen Dinge spielen dann keine Rolle mehr.“

Der Stereotyp verunglimpfe die Lebenssituation arabischer Frauen und ihrer Familien und blende zudem einen wesentlichen Teil der Realität aus, sagt Mende: Zwar kämen die Frauen aus patriarchal geprägten Ländern, wo sie rechtlich, sozial und gesellschaftlich diskriminiert werden und auch mit sexueller Gewalt stark zu kämpfen haben. „Doch die Geschlechterbeziehungen sind sehr vielfältig. Es gibt liebevolle Ehemännner und Brüder, nicht alle sind Paschas. Zum Beispiel ist heute den meisten arabischen Eltern eine gute Ausbildung ihrer Töchter sehr wichtig und sie tun alles dafür, damit das möglich wird. Vor allem blendet das Stereotyp auch aus, was in den letzten Jahren an Veränderungen passiert ist, denn heute stehen arabische Frauen ganz anders da als noch die Generation ihrer Mütter. Sie sind viel präsenter im Beruf, in der Öffentlichkeit und in der Politik und kämpfen auch für ihre Rechte.“

Natürlich bleibe viel zu tun, aber das sei bei uns auch so, betont Claudia Mende: „Der Abwertung der arabischen Frauen steht eine Idealisierung der eigenen Situation gegenüber. Wir hatten die Me-Too-Debatte, wir haben Probleme mit dem Gender-Pay-Gap, es gibt auch bei uns partnerschaftliche Gewalt und Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Also auch wir sind von echter Gleichberechtigung noch weit entfernt. Aber manchmal hab ich den Eindruck, das Stereotyp von der unterdrückten arabischen Frau nützt vor allem dazu, uns selbst aufzuwerten, nach dem Motto: Je schlechter die arabischen Frauen dastehen, desto besser stehen wir da.“

Suchen Sie den direkten Kontakt!

Nicht jeder, der Stereotype im Kopf habe, wolle arabischen Frauen schaden. Doch tatsächlich sind sie Auslöser für Diskriminierungen, die es den Frauen in vielfältiger Hinsicht schwer machen, hier anzukommen:

„Diese Diskriminierung ist real, sie gibt es am Arbeitsmarkt, speziell gegenüber Frauen mit Kopftuch, und auch am Wohnungsmarkt ist er für arabischen Menschen generell sehr schwierig, überhaupt eine Wohnung zu finden. Daneben sehen wir leider auch, dass es direkte Beleidigungen und auch Übergriffe auf arabische Frauen in der Öffentlichkeit gibt.“

Abschließend haben wir Claudia Mende gefragt, wie wir arabische Frauen stärken können:

„Ich kann nur raten: Suchen Sie den direkten Kontakt zu arabischen Frauen! Es gibt sehr viele Angebote zur Begegnung, ganz einfache Formate, wo man arabische Frauen treffen kann, sich austauschen kann. Stereotype, denke ich, lassen sich am ehesten durch die Begegnung mit der Realität, mit realen Menschen entschärfen.“


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