Über Alpträume israelischer Soldaten in Palästinensergebieten


Yoav hat wieder Alpträume. Warum sie jetzt kommen, weiß er nicht, aber er träumt von seiner Armeezeit, als er in den besetzten Gebieten dienen musste. In Gaza.

„Ein palästinensisches Zuhause wird heute Nacht überfallen werden.“ Fett steht diese Warnung im Kopf des Facebook-Profils von Breaking the Silence. „Das Schweigen brechen“, so nennt sich die Gruppe israelischer Ex-Soldaten, die in den besetzten Gebieten gedient haben – dienen mussten, denn sonst droht ihnen Knast, so wie Yoav. Seit 2004 haben die Soldaten auf ihrer Website über 1000 Bekenntnisse gesammelt, zu Morden, Übergriffen, Erniedrigungen, Beschädigung von Eigentum etcetera.

Sprengstoffladung gegen Demonstranten

Sie wollen darüber aufklären, was wirklich in den seit 53 Jahren besetzten Palästinensergebieten geschieht – und was sie mit ihren Gewissen vereinbaren müssen. Zum Beispiel der Sprengstoff, den sie in dem kleinen Dorf Kafr Qadum im Westjordanland versteckten. Jede Woche versammeln sich am Rand dieses Dorfes die Menschen zum Protest gegen die israelische Besatzung. Am 20. August spielten dort kleine Kinder. Unter Steinhaufen versteckt entdeckten sie eine Plastikbox. Zum Glück riefen sie Erwachsene.

Wasm Al-Shteiwi war einer von ihnen. Er erzählt:
„Ich fand eine geschlossene Orangenkiste, umwickelt mit Draht und Panzer-Tape. Ich entfernte die Kabel, und die Kiste explodierte mit einem Blitz und entzündete sich. Granatsplitter trafen meinen rechten Arm und mein Auge.“ Al-Shteiwi erzählt die Geschichte der Organisation B`Tselem, die sich für das Ende der Besatzung einsetzt.

Ex-Scharfschütze: Abschreckung durch Angst ist die Methode

Den Demonstrationsplatz der palästinensischen Dorfbewohner mit Sprengstoff verminen – die israelische Armee leugne, dass solche Aktionen angeordnet würden und bezeichne sie offiziell als Ausrutscher, mit denen schlechte Soldaten die aufgeklärte Besatzung torpedierten, schreibt auf Facebook der Vizepräsident von Breaking the Silence, Nadav Weiman. „Aber es waren Leute von der Einheit, in der ich gedient habe. Sie nennen es Elite hier in der Gegend. Es sind keine schlechten Soldaten, und diese Fälle sind keine Ausrutscher. So funktioniert die IDF, die Armee, in den besetzten Gebieten“, schreibt er und fügt hinzu: „Abschreckung durch Angst, das ist die Idee hinter diesen Methoden. Und sie rechtfertigt alles.“

IDF, das sind die Israel Defense Forces, die israelische Verteidigungsarmee. 1948 vereinten sich in ihr die Untergrund-Brigaden, die bis dahin gegen die britische Mandatsmacht und arabische Milizen gekämpft hatten. Die Streitkräfte sind in Israels Alltag omnipräsent und üben auch durch den zwei- bis dreijährigen, obligatorischen Militärdienst für Frauen wie Männer einen enormen Einfluss aus – auf Politik, Wirtschaft Kultur und die Gehirne der Menschen. Yoav spricht schlicht von Brainwashing, dem er selbst auch unterlegen sei. Er brachte es in der IDF zum Kommandanten.

Die Orangenkiste in Kafr Qadum ist nur ein jüngstes Beispiel von Alltag in den besetzten Gebieten. Alltag, den auch die israelischen Soldaten aushalten müssen, die während ihres Militärdienstes oder später in der Reservezeit zu Einsätzen in den Palästinensergebieten gezwungen werden.

Erschießen oder nicht: zwei Arten von Menschen

Nadav Weiman war Scharfschütze in einer Eliteeinheit, schon Großvater und Urgroßvater kämpften für die zionistische Bewegung im Untergrund. „Sie bereiten dich von frühester Kindheit an auf die Armee vor, und wenn du 18 bist, willst du nichts lieber, als in die Armee zu gehen“, sagt Weiman. Scharfschütze zu sein gelte als besonders ehrenhaft, und je mehr Terroristen man töte, desto besser. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk schildert er, nach welchen Kriterien er als Scharfschütze Menschen erschießen musste:

„Sehe ich einen Palästinenser, prüfe ich drei Dinge: 1. Hat er einen Stein, ein Messer oder ein Molotow-Cocktail, 2. nähert er sich den Soldaten oder einer jüdischen Siedlung, 3. kann er mir gefährlich werden. Wenn diese drei Dinge zusammenkommen, darf ich ihn erschießen.“

Ganz andere Regeln gelten für einen israelischen Siedler: „Zielt er mit einer Waffe auf mich, muss ich in Deckung gehen und warten, bis er keine Munition mehr hat oder eine Ladehemmung. Dann soll ich ihn überwältigen, darf ihn aber nicht töten.“

In der israelischen Armee bringen sie ihm bei, dass es zwei Arten von Menschen gebe: Einen darf man erschießen, die anderen niemals.

Auf Breaking the Silence erleichtern Soldaten ihr Gewissen. Schreiben, angeekelt von sich selbst, wie sie in Häusern geflohener Palästinenser in deren Töpfe koten. Zum Spaß mit Panzern über Autos rollen. Gewaltexzessen jüdischer Siedler zusehen, die an Feiertagen betrunken zu den palästinensischen Häusern ziehen, mit Flaschen werfen und auf den Grundstücken randalieren. Kinder und erwachsene Frauen jagen, um sie in den Hintern zu treten. „Die Palästinenser sind vollkommen hilflos, und die Siedler haben keinerlei Angst, weil sie wissen, dass sie nicht bestraft werden“, schreibt einer von ihnen.

Die jungen Palästinenser haben noch Hass in den Augen

Sie schildern die alltäglichen Schikanen, wenn sie an willkürlich aufgebauten Kontrollpunkten einem Vater mit seiner Tochter an der Hand die Waffe ins Gesicht halten, während Soldaten das Auto filzen. Ein junger Soldat reflektiert: „Bei den jungen Palästinensern sieht man noch Hass in den Augen. Bei den Alten sieht man, sie sind besetzte Menschen. Sie machen, was du willst, weil sie wissen, dass es keinen anderen Weg gibt für sie. Sie haben keine Kraft mehr für den Widerstand und wissen: Wer in ihrer Generation Widerstand geleistet hat, ist vermutlich nicht mehr da.“

Eine Strategie der IDF sei es auch, ein „gejagtes Gefühl zu schaffen“, erklärt Weiman und beschreibt: „Ich steige mitten in der Nacht aus dem gepanzerten Fahrzeug in irgendeiner Wohngegend von Nablus, donnere an die Tür und wecke die Familie. Ich bin bis an die Zähne bewaffnet, während sie im Schlafanzug sind. Ich durchsuche das Haus, hole Informationen über die Familie und ziehe zum nächsten Haus weiter."

Dahinter stecke der systematische Versuch, Angst zu verursachen, die den Gedanken erstickt, zu reagieren, sich zu widersetzen und den Kopf zu heben. „Alles ist erlaubt, um dies zu erreichen. Jeder muss die Angst spüren“, so Nadav Weiman.


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