Kurd*innen in der Türkei

Offizielle Angaben zum Bevölkerungsanteil der Kurd*innen in der Türkei gibt es nicht. Ihre Kultur und Sprache, ja selbst ihre Existenz, waren lange Zeit in der Türkei verboten. Ich erinnere mich an meine Schulzeit in der Türkei, Anfang der 1990er Jahre, da sagten die Lehrer, wenn einige von uns Kurdisch in der Klasse sprachen, „sprecht diese Sprache nicht“, ohne sie beim Namen zu nennen. Begriffe wie Kurdisch, Kurd*innen oder Kurdistan waren strikt verboten und durften nicht ausgesprochen werden.

Die kurdische Geschichte in der Türkei ist eine wechselhafte. In den Anfangsjahren der Republik gibt es mehrere teils religiös, teils nationalistisch geladene kurdische Aufstände gegen die Politik von Atatürk und seinen Mitstreiten, Diese reagieren darauf hin mit Disziplinierungsmaßnahmen oder nach dem offiziellen Sprachgebrauch „Zivilisierungsmaßnahmen“, was dazu führte, dass ganze Gebieten entvölkert, Eliten vertrieben oder hingerichtet werden. Spätestens 1938 mit dem Massaker an kurdischen Aleviten in der Region Dersim, wird der kurdische Widerstand für lange Zeit gebrochen. In den 1970er Jahren formiert sich diese neu und erreicht in der Gestalt der sozialistischen Arbeiterpartei Kurdistans, kurz PKK, seinen Höhepunkt. Der Konflikt zwischen der PKK und dem türkischen Staat dauert bis heute an und hat mehrere zehntausend Menschen das Leben gekostet, von seinem wirtschaftlichen und vor allem psychologischen Schäden mal abgesehen.

Jahrzehntelang hielt die Türkei nur eine militärische Lösung für möglich, wie Teile der türkischen Politik heute noch. Einen Wendepunkt auf der kurdischen Seite, eine Art Paradigmawechsel, hinzu einer politischen Lösung in diesem Konflikt, hat es in den 2010er Jahren gegeben. Maßgeblich war dabei die Gründung der linken HDP. Die HDP ist eine legale politische Partei, die linke wie auch prokurdische Kräfte unter einem Dach vereint. Mit der HDP gelang es den Kurd*innen, aber auch den Linken das erste mal die 10%-Hürde in der Türkei zu durchbrechen; der dadurch gewonnene Boden für eine zivile, gesellschaftliche und politische Lösung des Problems, ist Erdogan seit dem ein Dorn im Auge. 2015 kündigte der türkische Staat die Friedensgespräche auf, weil die Kurd*innen damals bei den Wahlen, wie von Erdogan selbst erwartet nicht ihn gewählt haben, sondern mehrheitlich die HDP. Seitdem unternimmt man alles, um die HDP in die Illegalität zu treiben und ihr Agieren unmöglich zu machen. Oft standen schon die HDP-Büros in Flammen oder sie wurden mit Waffen angegriffen, fast alle hochrangigen FunktionärInnen, samt der beliebte Vorsitzende Selahattin Demirtash wurden festgenommen und inhaftiert. Dennoch ist die Unterstüzuung für die HDP aus der Bevölkerung konstant geblieben. Dies zeigt, dass die Linken und Kurd*innen die Hoffnung auf eine politische Lösung in dem Konflikt nicht aufgegeben haben.

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Geschichte und Entwicklung der politischen Situation Kurdistans

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Antikurdische Ressentiments